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Tagebuch eines Backgammoninfanteristen
28 février 2005

Der Geißenpeter fährt nach München

Als ich aus dem Bus aussteigen will, ruft mir eine Frau, die aussieht als käme sie aus dem Irak oder der Gegend drum herum, ehrlich gesagt ich weiß ganz sicher, daß sie aus dem Irak stammt, weil ich sie flüchtig von der Uni kenne. Also, sie ruft mir zu: "Sie haben ihre Handschuhe liegen lassen." Ich drehe mich um und sage: "Oh!, Danke!" und grapsche nach meinen Handschuhen. Sie lächelt mich an, ich grinse zurück.

Auf der Straße denke ich an etwas, was ich im Internet gelesen habe:

Als die Amerikaner die Iraker abholten, sagten wir nichts, wir waren ja keine Iraker.
Als die Amerikaner die Iraner abholten, sagten wir nichts, wir waren ja keine Iraner.
Als die Amerikaner die Cubaner abholten, sagten wir nichts, wir waren ja keine Cubaner.
Als die Amerikaner uns abholten, war keiner mehr übrig, der etwas sagen durfte


"Die Fahrkarten bitte."
Ich krame in meiner Jackentasche nach zwei Zettelchen, eines ist das Bayern-Ticket-Single zu 17,00 Euro, letztes Jahr hat es noch 15,--Euro gekostet, und die Automatenquittung dazu. Ich versuche herauszufinden welche von beiden das Bayern-Ticket ist, ich strecke der Schaffnerin eines hin. Sie sagt das ist das falsche, un nimmt mir das Bayern-Ticket aus der anderen Hand.
Ich sage: "Jetzt habe ich eine Brille auf, und dann ist es doch das falsche".
Sie antwortet: "Paßt scho!"
Sie kontrolliert die anderen Fahrgäste. Ich schaue ihr nach. Sie leidet jedenfalls nicht an Anorexia nerviosa, sie ist keine dürre Geiß. Ich denke an meinen großen Bruder, er ist keine dürre Geiß, sondern eine lange Bohnenstange. Er hat sich den grauen Star wegoperieren lassen. Das sollte ich vielleicht auch mal tun.


Im Herzen der Weltstadt mit Herz gibt es herzlich viele Bettler und noch mehr herzlose Passanten mit unsichtbaren Scheuklappen. Eigentlich können sie nicht herzlos sein, denn ohne Herz kann keiner leben. Wahrscheinlich ist ihr Herz nur mehr oder weniger versteinert. Das würde auch die vielen Fälle von Herzinfarkten erklären. Da ich überkaupt keine Schuldgefühle kenne, kann ich jeden in die Augen schauen. Dies mützt ein Bettler aus und spricht micht an.
"Kannst du mir 30 Cents geben? Ich brauche 30 Cents zum telefonieren."
"Kann ich nicht."
Der Bettler sagt: "Ok . Danke" und trollt sich wie ein Hund, der etwas ausgefressen hat.
Durch die kundenfreundliche Preisgestaltung von Aldi, Norma, Lidl, Edeka & Co, mit einer 9 als letzter Ziffer bei fast allen Artikeln im Sortiment, sammeln sich in meiner Jackentasche  1-Euro-Cent-Stücke, oder heißt es 1-Cent-Euro-Stücke?, ich krame in meiner Jacktasche herum und sage: "Oder vielleicht doch." Der Bettler dreht sich um und sagt: "Ich nehme auch Cents und Fünfer." Ich strecke ihn eine halbe Handvoll Kupfermünzen hin: "Das werden schon 30 sein." Er sagt: "Ganz sicher".
Es muß ziemlich umständlich sein mit 1-Cent-Münzen zu telefonieren. Wenn der Bettler so dumm ist und wechselt die 1-Cent-Münzen bei der Stadtsparkasse Erlangen vorher um, dann geschieht es ihm recht, daß er ein Bettler ist.
Der Bettler bedankt sich nochmal. Leute, die sich wegen jeder Hundsfotzn bedanken, kann ich nicht ausstehen. Ich habe nie gelernt Danke zu sagen. Wozu auch.  Wir aus dem Frankenwald lassen uns nichts schenken. Dazu sind wir zu stolz. Wer sich nichts schenken läßt, braucht sich auch nicht zu bedanken. Ich denke an früher. Früher gab es weniger Bettler.
Meine Großmutter hatte eine Geiß im Stall stehen und drei Milchkühe. Wir waren keine Gaßbauern sondern Kuhbauern.
An die Geiß kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, aber an das Schaf und den Ganser der den Postboten terrorisiert hat.
Der Postbote zog es deshalb vor, die Post beim Nachbarn abzugeben. Vor Gänsen habe ich Respekt. Vor Kühen habe ich Angst, weil mich einmal eine mit ihren Hörnern aufgegabelt hat. Ich kann mich auch noch genau and die Care-Pakete erinnern, die der Pfarrer vor unserer Haustüre abgestellt hatte. Meine Mutter hat sie wieder zurückgetragen. Einmal haben wir doch eines aufgemacht. Die Neugierde hatte unserem Stolz eines ausgewischt. Es war eine große Blechdose mit Milchpulver darin und andere eßbare Sachen, die waren aber nicht nach unserem Geschmack. Heute wohnt meine kleine Nichte in den USA, selbst wenn ich noch 1000 Jahre leben würde, an den Gechmack des amerikanischen Essens, werde ich mich niemals gewöhnen. Außer an den Thanks-Giving-Truthahn. Vorausgesetzt er wird nicht auf dem  elektrischen Stuhl gegrillt, oder er ist gleich gar aus Plastik, wie der mit dem Bushito eine Show in  Bagdad abgezogen hat.  Die große Blechdose mit Milchpulver stand noch jahrelang in der Speisekammer herum. In der fränkischen Küche findet Milchpulver keine Verwendung. Wir hätten das Milchpulver auch an unsere Säue verfüttern können, aber auf die Idee sind wir nicht gekommen. Vielleicht hatten wir auch Angst die Säue würden das Milchpulver nicht vertragen. Auf die Idee Milchpulver an Gaß- und Kuhbauern zu verschenken können wirklich nur Amis oder studierte lutheranische Theologen kommen. Unser Dorfpfarrer hätte das Milchpulver lieber zu den Ochsenbauern tragen sollen, denn Ochsen geben keine Milch, aber das hat er vielleicht nicht gewußt.




In München stehen an jeder Straßenecke mindestens zwei Zeitungsverkaufsautomaten, es herrscht Medien- und Meinungsvielfalt. Heute sind sich die Boulevardblätter einig und ziehen über die Jäger her. Wenn man die Verkaufszahlen erhöhen will, findet man immer einen Sündengeißbock.
Die Titelzeile der Abendzeitung:
"Jäger töten massenhaft Hunde und Katzen".
Ich besitze einen Jagdschein und im Waffenschrank steht ein ungeladenes Gewehr und eine geputzte Flinte. Noch nie in meinem Leben habe ich einen Hund erschossen und eine Katze schon gar nicht. Was soll ich auch mit einer Katze anfangen, die nicht mehrt schnurrt und nicht mehr maust. Es soll Leute geben, die Hunde- und Katzenfleisch essen. Zu denen gehöre ich jedoch nicht. Keine 100 Meter von unserem Haus entfernt wohnte der Katzenjula. Er war der Schießknecht des Eigentümers der größten Brauerei im Bierdorf im Frankenwald. Irgendwann waren den Bauern ihre Katzen wichtiger als die großzügigen Freibierlieferungen des Brauereibesitzers, und sie verpachteten das Jagdrevier an einen Geschäftsführer aus der Stadt. Der Katzenjula ist schon lange dort, wo er die Katzen hinbefördert hat. Die Brauerei ist heute eine Ruine. Der Brauereibesitzer ging in die Politik. Der Fortschritt ist eben nicht aufzuhalten. Mit der Anzahl der Autos im Dorf stieg die Anzahl der plattgewalzten Katzen. Ich lege eine Gedenkminute für unsere plattgewalzten Katzen ein. Ich denke an Muschi, Mohrle, Lisla, Miss Ely, Willy, Sara, Munzel, Bommi und das Grauerla, die beste Mäusefängerin und Amseljägerin und Bauchwärmkatze der postmodernen Ära.
Ich stelle mir eine Schlagzeile der TZ vor:
"Autofahrer walzen unsere Katzen platt"
Ich will mir eine Zeitung kaufen, aber ich habe kein Kleingeld dabei. Das vertelefoniert gerade der Bettler. Aber egal, ich
kann mir schon denken, was in der Zeitung steht. Für das Geld, was eine Zeitung kostet kann ich mir selbst was zusammenschreiben. Da habe ich was eigenes. Auf die Wahrheit kommt es heutzutage sowieso nicht mehr an. Im Frankenwald
machen wir sowieso alles selber, sogar die Kinder. Manchmal sehen die eigenen Kinder so aus als hätte sie der Nachbar fabriziert.

Die Zeiten sind vorbei als im deutschen Märchenlande hungrige Wölfe herumlungerten, die sieben Geißenkinder lebendig mit Haut und Haar und Schlafanzug verschlingen konnten. Und auch die Mädchen, die rote Käppchen tragen und ihre Oma regelmäßig im Seniorinnenwohnheim der Caritas besuchen, sind aus Wald und Flur verschwunden. Und deshalb braucht man keine mutigen und verwegenen Jäger mehr. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ja keine vollgefressenen Wölfe mehr, denen sie die Bäuche aufschlitzen müssen, um die sieben Geißlein zu retten. Und wenn ein ausgehungerter Wolf eine Oma frißt, dann freut sich die Rentenversicherung. Deshalb wollen grüne Politiker noch mehr freßlustige Wölfe zwischen Oder und Rhein ansiedeln.


Jäger aus der Großstadt sind eine Landplage, ich kenne welche, die können eine Weißtanne nicht von einer Schwarzerle unterscheiden, einen grünen Schluckspecht nicht von einer roten Spritdrossel. Die schießen auf alles, was im Märchenwald herumflattert. Das sind keine Jäger, sondern hirnlose Ballermänner, die im bayerischen Staatsforst Schießorgien veranstalten. Die meisten von ihnen haben noch nicht einmal das Abitur. Weil sie es aber gerne hätten, nennen sie die Jägerprüfung  "das grüne Abitur". Der insgesamt 60-stündige theoretische Unterricht zum "grünen Abitur" findet gewöhnlich in einem Wirtshaus statt. Man pflegt Alkoholikerrituale. Wer sein Seidla in der rechten Hand hält, die meisten Rechtshänder tun das, und damit anstößt, der darf eine Runde zahlen. Wer keinen Alkohol trinkt braucht gar nicht erst hin. Dieser originelle und umsatzfördernde Brauch soll auf August dem Starken, König von Polen und Kurfürst von Sachsen, zurückgeben. Dieser, so pflegt die Legende zu berichten, soll sein Seidla in der linken Hand gehalten haben, damit die rechte Hand frei war für Grapschübungen an einer seiner vielen Mätressen, die wahrscheinlich keine dürren Geißen waren.  Ich melke Milchgeißen mit beiden Händen und nicht herzlos mit der rechten Hand, weil ich mich mit der linken Hand an einem Seidla festhalten muß, ich bin doch kein Alkoholiker.


Außer versoffenen Jahresjagdscheininhabern aus der Großstadt gibt es noch andere Landplagen. Im Wald und auf der Heide und im Ebersberger Forst jagen disziplinlose Schoßhündchen dem armen Rehlein nach. So quält ein Tier das andere Tier. Mobbing unter Kollegen. Das von seinem Frauchen verhätschelte und regelmäßig mit Dosenfutter gefütterte Schoßhündchen scheucht übermütig das unterernährte arme Rehlein im Wald herum. Man braucht weder das "grüne Abitur" noch zwanzig Semester Biologie zu studieren, um zu wissen, daß Rehgeißen, gemeine Geißen und noch gemeinere Geißböcke, Schaf und Kuh und auch bullige Stiere und impotente Ochsen Wiederkäuer sind. Wiederkäuer brauchen Ruhe zum Wiederkäuen, sonst bekommen sie Bauchschmerzen und Durchfall. Eine  Rehgeiß, die vor einem Hund flüchtet verbraucht auch mehr Energie als eine, die ein Mittagsschläfchen hält, die flüchtige Rehgeiß muß deshalb auch mehr fressen. Am Waldsterben sind nicht nur die Autofahrer schuld.



Ich will mich mit meinem ehrlich erworbenen Spitznamen zum Turnier anmelden. Die Andrea weigert sich dies zu tun. Wahrscheinlich glaubt sie, daß dies ihren nagelneuen Lap-Top zum Absturz bringt. Nach einer kurzen Diskussion gebe ich nach
und werde in der Hauptstadt der bayerischen Republik, in der Arnulfstraße 155, preußisch korrekt und politisch korrekt mit Namen und Vornamen registriert. Ich vermute, daß der Munich Backgammon Club von Preußen infiltriert ist.



Beim Munich Backgammon Club herrscht ein gewisser Grad an Desorganisation. Es fehlen Backgammonbretter. Backgammonkoffer sind kein bloßes Spielzeug. Sie werden auch als Statussymbole benutzt. Die weltstädtischen Backgammonspieler verwenden Spielzeuge in der Preislage von 2,-- bis 2000,-- Euros. Nach einigen hin und her finde ich
einen Gegener für ein Quarter-Entry. Wir spielen auf einem verwahrlosten Brett. Der Dopplerwürfel fehlt. Mein Gegener hält mir einen normalen Würfel mit zwei Pips hin. Ich nehme den improvisierten Dopplerwürfel an. Das Quarter-Entry verliere ich selbstverständlich.

Das meist benuzte Wort beim MBC ist Euros. Das kostet soviel Euros. Das Startgeld dort beträgt soundsoviel Euros. Die zahlen weniger Euros Preisgeld als jene. Man kann sogar Wetten darauf abschließen, wer der nächste Papst werden wird.
Beim MBC dreht sich alles um Euros.

Ich habe Backgammon von einer Krankenschwester im Krankenhaus gelernt. Sie war ein schwarzhaariges   mageres Geißlein aus Rumänien. Wir haben niemals um Geld gespielt. Die schwarzhaarige türkische Krankenschwester hat auch gerne Backgammon gespielt. Sie war aber kein mageres Geißlein. So spielte ich glücklich und ohne Geld und ohne Dopplerwürfel mit rumänischen und türkischen Krankschwestern Backgammon. Irgendwann wurde die germanische Stationsärtzin, eine rothaarige Zimtzicke, eifersüchtig und ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Später habe ich erfahren, daß die rothaarige Zimtzicke mich für einen berufsmäßigen Querulanten und Faulpelz hielt.

Ich staune immer wieder wie man mit Geld ein schönes Spiel, wie es das Backgammon ist, kapputt machen kann.

So bald werde ich nicht wieder zum Backgammon spielen nach München fahren. Da fahre ich lieber zum Schwaben-Cup nach Stuttgart. Und nicht nur weil mir die schwäbischen Häuslebauer sowieso sympathischer sind als die bayerischen Mir-san-Mir.



Because sometimes the Truth is not enough
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Commentaires
S
Hier ein Link für alle Jägermeister, die schon zum Frühstück einen Jägermeister trinken.<br /> http://www.kontraer-leben.de/html/alkohol_.html<br />
S
München scheint sein Herz verloren zu haben.<br /> <br /> http://www.br-online.de/land-und-leute/thema/obdachlosigkeit/muenchen.xml<br />
Tagebuch eines Backgammoninfanteristen
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